Elke Petzel

Aktuelle Arbeiten

801 WORTE ÜBER DIE WOLKEN

Eine Wolke kommt aus uns raus, sobald wir zu denken beginnen. Man siehtvsie nur nicht. Eine Wolke und noch eine. Cumulus im Sommer, im Winter mehr Novembersky. Aber eigentlich lassen sich diese Gebilde ja kaum unterscheiden, jedenfalls für den Laien. Wolken sind von sich aus nicht farbig, ihre Höhe spielt eine Rolle, ihre Stellung zum Beobachter und natürlich die Sonnenbestrahlung. Merkwürdigerweise sind sie immer oben, über uns, oder mindestens im Internet, da muss man den Hals nicht so recken, und man staunt und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, wenn man beispielsweise das Wort „Wolkenmaler“ eingibt. Maler, die Wolken malen.
Wolken in der Kunst? Warum nicht? Ein Wetterphänomen als künstlerische Herausforderung? Und ob! Nicht nur in der holländischen Landschaftsmalerei. Andy Warhol ließ silberne Wolken fliegen, Anselm Kiefer richtete seinen Blick noch ein Stück höher bis zu den Sternen. Gerhard Richter ist selbstverständlich auch bei diesem Thema präsent. Nolde natürlich, eine Reihe, die so bald kein Ende nimmt.

Wolken ziehen ihre Wege, ohne ein Wort zu sagen. Sie haben Romane von Tschechow gelesen, sind unseren Vorfahren schon in Ostpreußen begegnet. Wolken sehen alles. Sprechen nur nicht darüber. Große Verschwiegenheit am Himmel, lautet eine Anordnung, die lange vor unserer Zeit offenbar ausgesprochen worden ist. Nur die Piloten kennen sie nicht. Von der Wolkenfaszination erfasst ist auch Elke Petzel. Vor drei Jahren hat sie wieder angefangen zu malen, endlich hatte sie die Muße und gleich hat sie die Landschaft bzw. die Gegend über dem Wattenmeer entdeckt und sich davon anregen lassen, mächtig anregen lassen, gerade vom Wattenmeer, wo bekanntlich Himmel und Wasser oft kaum z unterscheiden sind. Einen schönen Satz für solcherart flüchtiger Wolkenformationen liefert der Kunstkritiker und Freund Turners, William Rusky: „Wir wollen unser Glück in Dingen finden, die in jedem Augenblick sich ändern oder vergehen.“ Der Satz geht noch weiter, wird dann aber zu kompliziert, um ihn länger festhalten zu können in unserem Gedächtnis, das ja auch sehr flüchtig zu sein scheint. „Ich bin informell unterwegs“, hat Elke Petzel mir in ihrem Atelier erklärt, deren Wände völlig von Wolken, Wetter und Wolkenentstehungen gefüllt, um nicht zu sagen verstopft sind. Die Wolken, bei ihr sind sie „gestapelt“. De Kooning, Kirkeby, Stöhrer, große Namen in der Kunstwelt, sind ihre Vorbilder.
Ältere Arbeiten von ihr erinnern daran. Vergleichsweise milde geht es jetzt auf der Leinwand zu; das neue Thema, das alles beherrschende, totale Thema, sind nun die Wolken und nur die Wolken am Himmel. Nichts Strahlendes, Schönes, Weißes, Heiteres malt sie, die Sonne spielt keine Rolle, nur die Farben Blau und Grau vornehmlich in allen Nuancen.

Wolken sehen so leicht aus, doch eine kleine Wolke ist etwa so schwer wie ein Elefant. Wie gut, dass sie nicht runterfallen kann. Joseph von Eichendorff schrieb: „Wünsche wie die Wolken sind, schiffen durch die stillen Räume, wer erkennt im lauen Wind, ob’s Gedanken oder Träume?“ und am Ende dieses Gedichts heißt es: „Leise doch im Herzensgrund bleibt das linde Wellenschlagen.“ Wodurch wir gleich wieder im hohen Norden Deutschlands angekommen sind und den schweren Wolken darüber, die wie Lastschiffe ständig Wasser in die norddeutsche Tiefebene transportieren. „Die Wolken sind nicht mehr so schön, wie sie mal waren“, behauptet eine Figur der Schriftstellerin Joy Williams. Selbige kam zu ihrer Beurteilung vom Flugzeug aus; von so nah und über den Wolken sieht natürlich alles ganz anders aus. Außerdem ist man mehr mit den Ruckeleien, sprich Turbulenzen beschäftigt, derweil der Pilot mit ungeheurer Geschwindigkeit durch Schleier- und Schäfchenwolken schießt.

Zurück zur Erde, zu den Bildern von Elke: Im Gegensatz zu den früheren, stürmischen Arbeiten, geht es jetzt gelassener zu, scheinbar. Die Titel sprechen allerdings eine deutliche Sprache: „Es braut sich was zusammen“, heißt es da, oder „Ein Sturm kommt auf“, „Ein Sturm zieht auf“, „Jetzt knallt es“ und dann das erlösende „Das wird schon wieder“. Klingt wie eine Wetterstory. 100 mal 120, so in dieser Größe sind viele der Malereien, und nicht ein Zentimeter davon wird verschenkt, bis zum Rand gefüllt mit Farbe, weiß, blau, schwarz in der Regel. Man kann sich nicht sattsehen daran. Das Merkwürdige, das Erstaunliche daran: Man sieht die Farben nicht „zuende“. Man nimmt sie mit, wird mitgenommen von ihnen, ich habe es an mir selbst gesehen, nämlich dass ich den Himmel nicht mehr vernachlässige beim Sehen. Noch während der Breminale, schilderte mir die Malerin, habe sie eine extrem spannende Wolkenformation gesehen, habe sie fotografiert und mitgenommen und gleich am nächsten Tag sei sie ins Atelier gerannt, und habe sofort, gleich mit der Arbeit begonnen. Es ist nicht eine Frage der Imitation, nichts Fotoähnliches daran, nein, es ist der Beginn, der Start auf dem Weg zum Gesamtbild, zum Roman, möchte ich in meiner Sprache formulieren. Man kann es nicht nacherzählen, was auf dem Bild zu erkennen ist. Man kann das Gemalte vergleichen, goutieren, wie bei einer Weinprobe, sich auf den Rücken legen wäre eigentlich am Schönsten.

Klaus Johannes Thies, August 2023